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Begriff Dysmorphophobie

 ... griechisch: dys = miss-, morphe = Gestalt, äußere Erscheinung, 
     phobios = Furcht, Angst  »»»  „Missgestaltsfurcht“

Bei Dysmorphophobie handelt es sich um eine Krankheit, bei der Betroffene befürchten, durch einen Defekt, der für andere entweder überhaupt nicht oder lediglich minimal erkennbar ist, stark entstellt zu sein. Aufgrund dieser Angst zeigen Dysmorphophiker bestimmte Verhaltensweisen, die sich zum einen auf das Überprüfen und zum anderen auf das Kaschieren des Makels beziehen (siehe Charakteristika im Verhalten).

Zudem fühlen sich die Betroffenen in der Öffentlichkeit von anderen angestarrt und fürchten, die (vermeintliche) Entstellung gebe anderen Anlass zu Ablehnung und Verachtung – was häufig einen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben zur Folge hat.

Nach dem DSM-IV (amerikanisches Handbuch für Diagnose und Statistik bei seelischen Störungen) ist Dysmorphophobie eine eigenständige, nicht wahnhafte somatoforme Störung mit den folgenden Kennzeichen:

Die Betroffenen beschäftigen sich übermäßig mit einem eingebildeten Mangel oder einer Entstellung der äußeren Erscheinung. Bei einer eventuell vorhandenen leichten körperlichen Anomalie ist die Besorgnis stark übertrieben.

Die übermäßige Beschäftigung erzeugt einen klinisch relevanten Leidensdruck oder Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen oder einem anderen wichtigen Lebensbereich.

Die übermäßige Beschäftigung wird nicht durch eine andere psychische Störung (zum Beispiel Anorexia nervosa) besser erklärt

Übermäßige Beschäftigung:

Mindestens eine Stunde pro Tag beschäftigt sich ein Dysmorphophobiker mit seiner Entstellung, in vielen Fällen noch viel länger, bis zu 8 Stunden am Tag. Dies betrifft zum einen das Verhalten – etwa häufiges Betrachten im Spiegel (siehe auch Charakteristika) – und zum andere die Gedanken der Betroffenen – wie sehe ich aus, wie findet meine Umwelt mich, warum bin ich so hässlich …? Das Selbstwertgefühl hängt meist ausschließlich vom aktuellen Zustand des Makels ab.

Die Betroffenen schweigen häufig über ihr Problem, sei es aus Furcht vor Bestätigung der eigenen Hässlichkeit durch andere, aus Scham, so massive psychische Probleme zu haben, weil sie überzeugt sind, ein Gespräch lohne nicht, da es den Defekt schließlich nicht behebt oder weil sie befürchten, als eitel zu gelten.

Die Krankheit beginnt meist in der Jugend (zwischen 14 und 20 Jahren) – einer Zeit, in der viele verunsichert sind, was denn nun schön/hässlich, in/out, normal/abnorm sei. Die Störung kann bis ins hohe Alter andauern.

Abzugrenzen ist die Dysmorphophobie von der Anorexia nervosa (=Magersucht, Fehleinschätzung des Körpers insgesamt). Auch hat eine körperdysmorphe Störung nichts mit Transsexualität (stärkere Identifizierung mit dem anderen Geschlecht) oder Schizophrenie (Persönlichtskeitsspaltung) zu tun.

Ebenfalls abzugrenzen ist Dysmorphophobie gegenüber einer Depression, einer Zwangsstörung und einer sozialen Phobie, jedoch können diese Erkrankungen begleitend auftreten.

Dysmorphophobie wird als Krankheit in der klinischen Praxis häufig nicht erkannt oder unterschätzt. Oft wird die Störung als eine Form der Depression angesehen und nicht spezifisch behandelt.

Verwandte Begriffe

BDD = Body Dysmorphic Disorder

Körperdysmorphe Störung

Schönheitshypochondrie (auch dermatologische Hypochondrie)

Hässlichkeitskümmerer  

Entstellungssyndrom

Ausprägungen von Dysmorphophobie *1

Körperliche Mängel werden meist beklagt hinsichtlich:

Gesicht und Kopf (z.B. Asymmetrie, Falten, Flecken, übermäßige Gesichtsbehaarung, Schwellungen, Blässe oder Rötung der Haut, zu geringer Haarwuchs, Form der Wangen, der Nase, des Kinns, der Ohren, des Mundes, der Lippen, der Zähne, des Kiefers, der Augen, der Augenbrauen und der Augenlider),

Haut des Körpers (z.B. Akne, Muttermale, Narben, Farbe, Gefäßzeichnungen),

Geschlechtsorgane (z.B. zu kleiner Penis, unpassende Schambehaarung),

Busen (z.B. zu klein oder zu groß),

Brust (z.B. angeblich unmännlich, sodass ein nackter Oberkörper vermieden wird),

Hüften (z.B. zu breites Becken),

Bauch (z.B. zu dick trotz Schlankheit),

Gesäß (z.B. vermeintlich zu dicker Po),

Schultern oder Rücken (z.B. zu schwach entwickelt)

Arme und Beine (z.B. vermeintliche X- oder O-Beine).

In letzter Zeit wird zunehmend von einer Muskel-Dysmorphophobie berichtet. Betroffen sind hauptsächlich sehr muskulöse Männer, die häufiges Kraft-Training betreiben. Trotz ihrer muskulösen, kräftigen Erscheinung sind sie überzeugt, ihre Muskeln seien zu gering ausgeprägt und ihr Körper sei noch zu schmächtig oder sie würden Fett ansetzen. Deshalb trainieren diese Männer noch intensiver und greifen teils auch zu Anabolika.  

*1 Quelle: "Somatoforme Störungen" Hans Morschitzky

Charakteristika *2

1. des Verhaltens der Betroffenen:  

Häufiges Prüfen des Körperäußeren im Spiegel oder auf glatten Oberflächen (z.B. auf Fenstern).

 

Überprüfen des Körperäußeren ohne Spiegel durch häufigen direkten Anblick des verabscheuten Körperteils (z.B. kleines Muttermal oder kleine Narbe im Gesicht).

 

Häufiges Messen der Körperteile in der Hoffnung, dass sie so klein, so groß oder so symmetrisch sind, wie man sie gerne hätte.

 

Vermeidung von Spiegeln, weil der Anblick des eigenen Körpers unerträglich ist.

 

Vermeidung von Fotoaufnahmen in der Überzeugung, dass das Bild nur eine vermeintlich hässliche Figur festhalten würde.

 

Bevorzugt nur abendliche Ausgänge in der Dunkelheit oder bevorzugter Aufenthalt in dunklen Räumen (z.B. in wenig beleuchteten Ecken von Lokalen), weil die vermeintlichen Mängel des Körperäußeren dabei weniger sichtbar seien.

 

Viel Zeitaufwand sich herzurichten, z.B. sich ständig kämmen, die Haare richtig legen, die Haare zurechtzupfen oder schneiden, ein Make-up auftragen, oft rasieren, tagsüber neu kleiden.

 

Übermäßig viel Zeitaufwand bei der Morgentoilette mit ständigen Sorgen und Fragen an andere, wie man sich am besten herrichten könne.

 

Zupfen an der Haut in dem Bemühen besser auszuschauen.

 

Bedecken oder Verstecken von Teilen des Körpers mit einem Hut, einem Kleidungsstück, einem Make-up, einer Sonnenbrille oder den eigenen Haaren.

 

Häufiger Wechsel der Kleidung um herauszufinden, ob die abgelehnten Körperpartien durch eine bestimmte Kleidung besser verdeckt werden können.

 

Viel Zeitaufwand, ein Outfit für den Tag auszuwählen, um herauszufinden, welches Outfit einen besseren Eindruck hinterlässt.

 

Verstecken bestimmter Aspekte des Äußeren, indem eine bestimmte Körperhaltung eingenommen wird, z.B. Abwenden des Gesichts von anderen.

 

Viel Zeitaufwand für das Lesen von Artikeln zur Verschönerung des Körpers in der Hoffnung, den Eindruck der Hässlichkeit vermindern zu können.

 

Exzessive Arbeit daran, das körperliche Erscheinungsbild zu verbessern.

 

Einhaltung einer Diät zur Korrektur der Figur, obwohl andere Menschen derartige auf das Gewicht und die Figur bezogene Maßnahmen nicht für notwendig halten.

 

Vergleich mit anderen in der Überzeugung, schlechter auszusehen als die anderen.

 

Häufige Fragen (oder beabsichtigte Fragen) an andere, ob die äußere Erscheinung passe und kein schlechteres Aussehen als bei anderen gegeben sei.

 

Versuche andere zu überzeugen, dass irgendetwas am äußeren Erscheinungsbild nicht in Ordnung sei, während die anderen ein derartiges Problem für nicht vorhanden oder nur geringfügig halten.

 

2. der Gedanken, Überzeugungen und Gefühle der Betroffenen

 

Panische Reaktion oder massive Ängstlichkeit beim Blick in den Spiegel wegen des Erscheinungsbildes.

 

Gefühl der Unbehaglichkeit, wenn die bezüglich des Makels bevorzugte Körperhaltung nicht eingenommen werden kann.

 

Ständige Gedanken, dass andere Menschen einen wegen des Körperäußeren in besonderer Weise anschauen (z.B. beim Spazieren gehen oder in einem Lokal), verbunden mit der Sorge, dass sich die anderen dabei etwas Negatives denken könnten (z.B. dass man unattraktiv wirke).

 

Allgemeine Überzeugung bis hin zur fixen Idee, dass andere Menschen über das äußere Erscheinungsbild negativ denken oder sich sogar lustig machen.

 

Selbstmordgedanken aus Überzeugung, dass das Leben mit dem momentanen Äußeren nicht lebenswert sei.

 

Ärger und Enttäuschung wegen des unveränderlichen Körperäußeren.

 

Wunsch nach kosmetisch-chirurgischer, dermatologischer oder sonstiger medizinischer Behandlung, um das körperliche Erscheinungsbild zu korrigieren, obwohl andere Menschen (z.B. Verwandte, Freunde, Ärzte) dies für unnötig halten.

 

Unzufriedenheit mit einem durchgeführten kosmetisch-chirurgischen Eingriff.

 

Hoffnung nach einem enttäuschenden kosmetisch-chirurgischen Eingriff, dass die nächste Operation das Problem des körperlichen Erscheinungsbildes endgültig lösen werde.

 

3. der Reaktionen Außenstehender

 

Klagen der Familienmitglieder, dass das Bad ständig besetzt sei.

 

Bedenken von Chirurgen, eine kosmetische Operation durchzuführen, weil der Defekt zu klein sei oder nach der Operation nur eine Enttäuschung über das Ergebnis gegeben sein könnte, d.h. selbst der Chirurg weist darauf hin, dass durch eine kosmetische Operation keine wesentliche Änderung des äußeren Erscheinungsbildes erreicht werden kann.

 

4. sonstige Folgen

 

Schwierigkeiten mit anderen zusammen zu sein, wenn Vorkehrungen zur Verschönerung des Körpers (Bedecken oder Verstecken von Teilen des Körpers mit einem Hut, einem Kleidungsstück, einem Make-up, einer Sonnenbrille oder den eigenen Haaren) nicht getroffen wurden.

 

Schwierigkeiten das Haus zu verlassen wegen des angeblich unattraktiven Äußeren.

 

Häufigeres Zuspätkommen zu verschiedenen Anlässen aus Sorge, dass das körperliche Erscheinungsbild nicht okay sei und mit viel Aufwand erst noch korrigiert werden müsse.

 

Auftreten von depressiven Verstimmungen und Ängstlichkeit wegen des körperlichen Erscheinungsbildes.

 

Höherer Zeitaufwand als eigentlich nötig bei der Verrichtung bestimmter Aufgaben aus Sorge um das körperliche Erscheinungsbild und damit zusammenhängender Verhaltensweisen (z.B. Stehen vor dem Spiegel, Unkonzentriertheit und Zerstreutheit wegen der ständigen Gedanken an das äußere Erscheinungsbild).

 

Schwierigkeiten, Komplimente in Bezug auf das körperliche Erscheinungsbild annehmen zu können wegen der festen Überzeugung, dass das Lob falsch oder nicht echt sei.

 

Schwierigkeiten, den Körper entblößt zu zeigen beim Baden im Freien oder in einem Schwimmbad.

 

Schwierigkeiten in sexuellen Beziehungen wegen des anhaltenden Gefühls, einen hässlichen Körper zu haben.

 

Vermeidung sexueller Beziehungen aus Angst vor dem Anblick durch den Partner.  

 

*2 Quelle: "Somatoforme Störungen" Hans Morschitzky

Verbreitung in der Gesellschaft

Über Häufigkeit, Alter oder Geschlecht der Dysmorphophobiker gibt es noch keine verlässlichen Zahlen, da dies bisher noch nicht umfassend statistisch untersucht wurde.

Nach Schätzungen sind in der Allgemeinbevölkerung 0,7 bis 2,2 Prozent betroffen. Unter Patienten in Hautarztpraxen und kosmetischen Chirurgen weisen bis zu 15 Prozent diese Störung auf.

Sowohl Frauen als auch Männer sind von Dysmorphophobie betroffen. Unklar ist bislang, ob und wenn ja, bei welchem Geschlecht die Störung vermehrt auftritt.

Mögliche Ursachen

Über die Ursachen ist bislang wenig bekannt – es gibt aber Vermutungen in verschiedene Richtungen.

Zum einen könnte die genetische Veranlagung, für psychische Störungen anfällig zu sein, eine Rolle spielen. Zum anderen könnte durch eine vererbte Stoffwechselstörung der Hormonhaushalt gestört sein und beispielsweise ein Serotonin-Mangel vorliegen.

Auch andere Faktoren können möglicherweise zur Dysmorphophobie führen. Persönliche Faktoren sind etwa ein geringes Selbstbewusstsein, ein übertriebener Schönheitsbegriff oder psychische Belastungen durch die Umwelt (zum Beispiel Hänseleien aus dem Umfeld).

Darüber hinaus können eventuell ein traumatisches Lebensereignis (Tod eines nahe stehenden Menschen, Missbrauch, Krankheit …) oder unattraktive Lebensbedingungen (wenig Ablenkung, fehlende sinnvolle Freizeitbeschäftigungen) bewirken, dass man sich übermäßig mit seinem Äußeren beschäftigt und jede kleinste Unregelmäßigkeit als Entstellung überbewertet.

Folgen

Folge von Dysmorphophobie ist häufig ein gering ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Der Selbstwert der eigenen Person wird ausschließlich über das Aussehen definiert – da dieses als hässlich eingeschätzt wird, fühlen sich die Betroffenen entsprechend minderwertig.

Durch das Vermeiden von bestimmten sozialen Situationen geraten viele Dysmorphophobiker nach und nach in eine soziale Selbstisolation. Sie gehen nicht mehr zur Arbeit/Schule, sagen Treffen kurzfristig ab oder verlassen kaum noch ihre Wohnung, wodurch die Beziehungen zu anderen Personen stark beeinträchtigt werden. Außenstehende können meist nicht verstehen, warum sich jemand derart abschottet – da die vermeintliche Entstellung für sie gar nicht oder kaum vorhanden ist.

Auch depressive Verstimmungen bis hin zu schweren Depressionen sind vielfach Folgen einer Dysmorphophobie.

Schließlich sind Selbstaggression und Selbsthass bei den Betroffenen verbreitet anzutreffen. Dies kann in Selbstmordgedanken und im schlimmsten Fall in Selbstmordversuchen gipfeln.

Einige Experten gehen davon aus, dass sich etwa 1 Prozent der Betroffenen aufgrund der Krankheit das Leben nehmen.

  
  

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