Bei
Dysmorphophobie handelt es sich um eine Krankheit, bei der
Betroffene befürchten, durch einen Defekt, der für andere
entweder überhaupt nicht oder lediglich minimal erkennbar ist,
stark entstellt zu sein. Aufgrund dieser Angst zeigen
Dysmorphophiker bestimmte Verhaltensweisen, die sich zum einen auf
das Überprüfen und zum anderen auf das Kaschieren des Makels
beziehen (siehe Charakteristika im Verhalten).
Zudem fühlen
sich die Betroffenen in der Öffentlichkeit von anderen angestarrt
und fürchten, die (vermeintliche) Entstellung gebe anderen Anlass
zu Ablehnung und Verachtung – was häufig einen Rückzug aus dem
gesellschaftlichen Leben zur Folge hat.
Nach dem DSM-IV
(amerikanisches Handbuch für Diagnose und Statistik bei
seelischen Störungen) ist Dysmorphophobie eine eigenständige,
nicht wahnhafte somatoforme Störung mit den folgenden
Kennzeichen:
Die Betroffenen
beschäftigen sich übermäßig mit einem eingebildeten Mangel
oder einer Entstellung der äußeren Erscheinung. Bei einer
eventuell vorhandenen leichten körperlichen Anomalie ist die
Besorgnis stark übertrieben.
Die übermäßige
Beschäftigung erzeugt einen klinisch relevanten Leidensdruck oder
Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen oder einem anderen
wichtigen Lebensbereich.
Die übermäßige
Beschäftigung wird nicht durch eine andere psychische Störung
(zum Beispiel Anorexia nervosa) besser erklärt
Übermäßige
Beschäftigung:
Mindestens eine
Stunde pro Tag beschäftigt sich ein Dysmorphophobiker mit seiner
Entstellung, in vielen Fällen noch viel länger, bis zu 8 Stunden
am Tag. Dies betrifft zum einen das Verhalten – etwa häufiges
Betrachten im Spiegel (siehe auch Charakteristika) – und zum
andere die Gedanken der Betroffenen – wie sehe ich aus, wie
findet meine Umwelt mich, warum bin ich so hässlich …? Das
Selbstwertgefühl hängt meist ausschließlich vom aktuellen
Zustand des Makels ab.
Die Betroffenen
schweigen häufig über ihr Problem, sei es aus Furcht vor Bestätigung
der eigenen Hässlichkeit durch andere, aus Scham, so massive
psychische Probleme zu haben, weil sie überzeugt sind, ein Gespräch
lohne nicht, da es den Defekt schließlich nicht behebt oder weil
sie befürchten, als eitel zu gelten.
Die Krankheit
beginnt meist in der Jugend (zwischen 14 und 20 Jahren) – einer
Zeit, in der viele verunsichert sind, was denn nun schön/hässlich,
in/out, normal/abnorm sei. Die Störung kann bis ins hohe Alter
andauern.
Abzugrenzen ist
die Dysmorphophobie von der Anorexia nervosa (=Magersucht,
Fehleinschätzung des Körpers insgesamt). Auch hat eine körperdysmorphe
Störung nichts mit Transsexualität (stärkere Identifizierung
mit dem anderen Geschlecht) oder Schizophrenie (Persönlichtskeitsspaltung)
zu tun.
Ebenfalls
abzugrenzen ist Dysmorphophobie gegenüber einer Depression, einer
Zwangsstörung und einer sozialen Phobie, jedoch können diese
Erkrankungen begleitend auftreten.
Dysmorphophobie
wird als Krankheit in der klinischen Praxis häufig nicht erkannt
oder unterschätzt. Oft wird die Störung als eine Form der
Depression angesehen und nicht spezifisch behandelt.
Verwandte
Begriffe
BDD = Body
Dysmorphic Disorder
Körperdysmorphe
Störung
Schönheitshypochondrie
(auch dermatologische Hypochondrie)
Hässlichkeitskümmerer
Entstellungssyndrom
Ausprägungen von Dysmorphophobie
*1
Körperliche
Mängel werden meist beklagt hinsichtlich:
Gesicht und Kopf
(z.B. Asymmetrie, Falten, Flecken, übermäßige
Gesichtsbehaarung, Schwellungen, Blässe oder Rötung der Haut, zu
geringer Haarwuchs, Form der Wangen, der Nase, des Kinns, der
Ohren, des Mundes, der Lippen, der Zähne, des Kiefers, der Augen,
der Augenbrauen und der Augenlider),
Haut des Körpers
(z.B. Akne, Muttermale, Narben, Farbe, Gefäßzeichnungen),
Geschlechtsorgane
(z.B. zu kleiner Penis, unpassende Schambehaarung),
Busen (z.B. zu
klein oder zu groß),
Brust (z.B.
angeblich unmännlich, sodass ein nackter Oberkörper vermieden
wird),
Hüften (z.B. zu
breites Becken),
Bauch (z.B. zu
dick trotz Schlankheit),
Gesäß (z.B.
vermeintlich zu dicker Po),
Schultern oder Rücken
(z.B. zu schwach entwickelt)
Arme und Beine
(z.B. vermeintliche X- oder O-Beine).
In letzter Zeit
wird zunehmend von einer Muskel-Dysmorphophobie berichtet.
Betroffen sind hauptsächlich sehr muskulöse Männer, die häufiges
Kraft-Training betreiben. Trotz ihrer muskulösen, kräftigen
Erscheinung sind sie überzeugt, ihre Muskeln seien zu gering
ausgeprägt und ihr Körper sei noch zu schmächtig oder sie würden
Fett ansetzen. Deshalb trainieren diese Männer noch intensiver
und greifen teils auch zu Anabolika.
*1 Quelle:
"Somatoforme
Störungen" Hans Morschitzky
Charakteristika
*2
1.
des Verhaltens der Betroffenen:
Häufiges
Prüfen des Körperäußeren im Spiegel oder auf glatten Oberflächen
(z.B. auf Fenstern).
Überprüfen
des Körperäußeren ohne Spiegel durch häufigen direkten Anblick
des verabscheuten Körperteils (z.B. kleines Muttermal oder kleine
Narbe im Gesicht).
Häufiges
Messen der Körperteile in der Hoffnung, dass sie so klein, so groß
oder so symmetrisch sind, wie man sie gerne hätte.
Vermeidung
von Spiegeln, weil der Anblick des eigenen Körpers unerträglich
ist.
Vermeidung
von Fotoaufnahmen in der Überzeugung, dass das Bild nur eine
vermeintlich hässliche Figur festhalten würde.
Bevorzugt
nur abendliche Ausgänge in der Dunkelheit oder bevorzugter
Aufenthalt in dunklen Räumen (z.B. in wenig beleuchteten Ecken
von Lokalen), weil die vermeintlichen Mängel des Körperäußeren
dabei weniger sichtbar seien.
Viel
Zeitaufwand sich herzurichten, z.B. sich ständig kämmen, die
Haare richtig legen, die Haare zurechtzupfen oder schneiden, ein
Make-up auftragen, oft rasieren, tagsüber neu kleiden.
Übermäßig
viel Zeitaufwand bei der Morgentoilette mit ständigen Sorgen und
Fragen an andere, wie man sich am besten herrichten könne.
Zupfen
an der Haut in dem Bemühen besser auszuschauen.
Bedecken
oder Verstecken von Teilen des Körpers mit einem Hut, einem
Kleidungsstück, einem Make-up, einer Sonnenbrille oder den
eigenen Haaren.
Häufiger
Wechsel der Kleidung um herauszufinden, ob die abgelehnten Körperpartien
durch eine bestimmte Kleidung besser verdeckt werden können.
Viel
Zeitaufwand, ein Outfit für den Tag auszuwählen, um
herauszufinden, welches Outfit einen besseren Eindruck hinterlässt.
Verstecken
bestimmter Aspekte des Äußeren, indem eine bestimmte Körperhaltung
eingenommen wird, z.B. Abwenden des Gesichts von anderen.
Viel
Zeitaufwand für das Lesen von Artikeln zur Verschönerung des Körpers
in der Hoffnung, den Eindruck der Hässlichkeit vermindern zu können.
Exzessive
Arbeit daran, das körperliche Erscheinungsbild zu verbessern.
Einhaltung
einer Diät zur Korrektur der Figur, obwohl andere Menschen
derartige auf das Gewicht und die Figur bezogene Maßnahmen nicht
für notwendig halten.
Vergleich
mit anderen in der Überzeugung, schlechter auszusehen als die
anderen.
Häufige
Fragen (oder beabsichtigte Fragen) an andere, ob die äußere
Erscheinung passe und kein schlechteres Aussehen als bei anderen
gegeben sei.
Versuche
andere zu überzeugen, dass irgendetwas am äußeren
Erscheinungsbild nicht in Ordnung sei, während die anderen ein
derartiges Problem für nicht vorhanden oder nur geringfügig
halten.
2.
der Gedanken, Überzeugungen und Gefühle der Betroffenen
Panische
Reaktion oder massive Ängstlichkeit beim Blick in den Spiegel
wegen des Erscheinungsbildes.
Gefühl
der Unbehaglichkeit, wenn die bezüglich des Makels bevorzugte Körperhaltung
nicht eingenommen werden kann.
Ständige
Gedanken, dass andere Menschen einen wegen des Körperäußeren in
besonderer Weise anschauen (z.B. beim Spazieren gehen oder in
einem Lokal), verbunden mit der Sorge, dass sich die anderen dabei
etwas Negatives denken könnten (z.B. dass man unattraktiv wirke).
Allgemeine
Überzeugung bis hin zur fixen Idee, dass andere Menschen über
das äußere Erscheinungsbild negativ denken oder sich sogar
lustig machen.
Selbstmordgedanken
aus Überzeugung, dass das Leben mit dem momentanen Äußeren
nicht lebenswert sei.
Ärger
und Enttäuschung wegen des unveränderlichen Körperäußeren.
Wunsch
nach kosmetisch-chirurgischer, dermatologischer oder sonstiger
medizinischer Behandlung, um das körperliche Erscheinungsbild zu
korrigieren, obwohl andere Menschen (z.B. Verwandte, Freunde, Ärzte)
dies für unnötig halten.
Unzufriedenheit
mit einem durchgeführten kosmetisch-chirurgischen Eingriff.
Hoffnung
nach einem enttäuschenden kosmetisch-chirurgischen Eingriff, dass
die nächste Operation das Problem des körperlichen
Erscheinungsbildes endgültig lösen werde.
3.
der Reaktionen Außenstehender
Klagen
der Familienmitglieder, dass das Bad ständig besetzt sei.
Bedenken
von Chirurgen, eine kosmetische Operation durchzuführen, weil der
Defekt zu klein sei oder nach der Operation nur eine Enttäuschung
über das Ergebnis gegeben sein könnte, d.h. selbst der Chirurg
weist darauf hin, dass durch eine kosmetische Operation keine
wesentliche Änderung des äußeren Erscheinungsbildes erreicht
werden kann.
4.
sonstige Folgen
Schwierigkeiten
mit anderen zusammen zu sein, wenn Vorkehrungen zur Verschönerung
des Körpers (Bedecken oder Verstecken von Teilen des Körpers mit
einem Hut, einem Kleidungsstück, einem Make-up, einer
Sonnenbrille oder den eigenen Haaren) nicht getroffen wurden.
Schwierigkeiten
das Haus zu verlassen wegen des angeblich unattraktiven Äußeren.
Häufigeres
Zuspätkommen zu verschiedenen Anlässen aus Sorge, dass das körperliche
Erscheinungsbild nicht okay sei und mit viel Aufwand erst noch
korrigiert werden müsse.
Auftreten
von depressiven Verstimmungen und Ängstlichkeit wegen des körperlichen
Erscheinungsbildes.
Höherer
Zeitaufwand als eigentlich nötig bei der Verrichtung bestimmter
Aufgaben aus Sorge um das körperliche Erscheinungsbild und damit
zusammenhängender Verhaltensweisen (z.B. Stehen vor dem Spiegel,
Unkonzentriertheit und Zerstreutheit wegen der ständigen Gedanken
an das äußere Erscheinungsbild).
Schwierigkeiten,
Komplimente in Bezug auf das körperliche Erscheinungsbild
annehmen zu können wegen der festen Überzeugung, dass das Lob
falsch oder nicht echt sei.
Schwierigkeiten,
den Körper entblößt zu zeigen beim Baden im Freien oder in
einem Schwimmbad.
Schwierigkeiten
in sexuellen Beziehungen wegen des anhaltenden Gefühls, einen hässlichen
Körper zu haben.
Vermeidung
sexueller Beziehungen aus Angst vor dem Anblick durch den Partner.
*2
Quelle: "Somatoforme
Störungen" Hans Morschitzky
Verbreitung
in der Gesellschaft
Über Häufigkeit,
Alter oder Geschlecht der Dysmorphophobiker gibt es noch keine
verlässlichen Zahlen, da dies bisher noch nicht umfassend
statistisch untersucht wurde.
Nach Schätzungen
sind in der Allgemeinbevölkerung 0,7 bis 2,2 Prozent betroffen.
Unter Patienten in Hautarztpraxen und kosmetischen Chirurgen
weisen bis zu 15 Prozent diese Störung auf.
Sowohl Frauen als
auch Männer sind von Dysmorphophobie betroffen. Unklar ist
bislang, ob und wenn ja, bei welchem Geschlecht die Störung
vermehrt auftritt.
Mögliche
Ursachen
Über die
Ursachen ist bislang wenig bekannt – es gibt aber Vermutungen in
verschiedene Richtungen.
Zum einen könnte
die genetische Veranlagung, für psychische Störungen anfällig
zu sein, eine Rolle spielen. Zum anderen könnte durch eine
vererbte Stoffwechselstörung der Hormonhaushalt gestört sein und
beispielsweise ein Serotonin-Mangel vorliegen.
Auch andere
Faktoren können möglicherweise zur Dysmorphophobie führen. Persönliche
Faktoren sind etwa ein geringes Selbstbewusstsein, ein übertriebener
Schönheitsbegriff oder psychische Belastungen durch die
Umwelt (zum Beispiel Hänseleien aus dem Umfeld).
Darüber
hinaus können eventuell ein traumatisches Lebensereignis
(Tod eines nahe stehenden Menschen, Missbrauch, Krankheit …) oder unattraktive Lebensbedingungen (wenig Ablenkung, fehlende sinnvolle
Freizeitbeschäftigungen) bewirken, dass man sich übermäßig
mit seinem Äußeren beschäftigt und jede kleinste Unregelmäßigkeit
als Entstellung überbewertet.
Folgen
Folge von
Dysmorphophobie ist häufig ein gering ausgeprägtes
Selbstbewusstsein. Der Selbstwert der eigenen Person wird
ausschließlich über das Aussehen definiert – da dieses als hässlich
eingeschätzt wird, fühlen sich die Betroffenen entsprechend
minderwertig.
Durch das
Vermeiden von bestimmten sozialen Situationen geraten viele
Dysmorphophobiker nach und nach in eine soziale Selbstisolation.
Sie gehen nicht mehr zur Arbeit/Schule, sagen Treffen kurzfristig
ab oder verlassen kaum noch ihre Wohnung, wodurch die Beziehungen
zu anderen Personen stark beeinträchtigt werden. Außenstehende können
meist nicht verstehen, warum sich jemand derart abschottet – da
die vermeintliche Entstellung für sie gar nicht oder kaum
vorhanden ist.
Auch depressive
Verstimmungen bis hin zu schweren Depressionen sind vielfach
Folgen einer Dysmorphophobie.
Schließlich sind
Selbstaggression und Selbsthass bei den Betroffenen verbreitet
anzutreffen. Dies kann in Selbstmordgedanken und im schlimmsten
Fall in Selbstmordversuchen gipfeln.
Einige Experten
gehen davon aus, dass sich etwa 1 Prozent der Betroffenen aufgrund
der Krankheit das Leben nehmen.
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